Roadtrip ins Baltikum
Von Deutschland nach Litauen
Sonntag, der 22. Juli 2017, es sollte Hochsommer sein, aber es ist kalt und regnet in Strömen. Es ist noch dunkel, als wir früh morgens auf die Autobahn rollen, immer Richtung Osten. Mittags lassen wir Berlin und die letzten Staus in Deutschland hinter uns und endlich zeigt sich auch die Sonne. Unser Ziel ist Litauen, das erste der drei kleinen Länder irgendwo im Nordosten der EU. Und wenn wir es schaffen auch noch Lettland und Estland. Aber zwischen uns und dem Baltikum liegen noch über 760 Kilometer durch Polen. Wir haben lange überlegt, ob wir uns auf dem Weg durch Polen etwas anschauen, doch hat dieses Land soviel zu bieten das wir es wahrscheinlich nie ins Baltikum schaffen würden. Also fahren wir immer weiter über die fast leere, gut ausgebaute Autobahn.
“ Würden wir uns etwas in Polen anschauen, würden wir es nie ins Baltikum schaffen „
In der Nähe der Stadt Poznań verlassen wir am Abend auf der Suche nach einem Schlafplatz die Autobahn. Laut Google Maps gibt es hier einige Seen, doch stellt sich die Gegend als dichter besiedelt raus als gedacht und wir finden einfach kein ruhiges Plätzchen. Also folgen wir ein paar Schildern mit einem Zeltsymbol in der Hoffnung auf einen Campingplatz zu stoßen. Doch am Ende einer holprigen Dorfstrasse stehen wir nicht wie erwartet vor einem Campingplatz sondern vor einem Pfadfinderlager! Egal, auch gut. Dank Lukas Polnisch Kenntnissen, kommen wir schnell mit den Betreibern ins Gespräch. Sie sind total begeistert von Diego und erzählt uns voller Stolz, von ihrem Schwiegersohn der selber Kastenwagen zu Wohnmobilen umbaut. Wir dürfen die Nacht auf dem Parkplatz verbringen und sogar die Duschen nutzen (mit gefühlt 100 Kiddies). Nachdem schließlich die Glocke zum Schlafen klingelt, fallen nicht nur die kleinen Pfadfinder todmüde ins Bett.
Am nächsten Morgen sind wir wieder früh auf der Straße. Hinter Warschau hört die Autobahn auf. Über überfüllte Landstraßen quälen wir uns weiter, die Dörfer werden kleiner, die Kirchen größer und auf den Strommasten thronen riesige Storchennester mit ihren weiß schwarzen Bewohnern. Bei Augustów, einem kleinen, aber beliebten Kurort im Nordosten Polens, biegen wir schließlich in die Wälder vom Rezerwat Tobolinka ab. Es ist schon spät und wir sind müde. Zwei Tage sind wir fast durch gefahren. Eigentlich haben wir heute keine Lust auf Schlafplatzsuche.
“ Hinter der nächsten Biegung taucht auf, wonach wir gesucht haben „
Aber wie es der Zufall will, taucht hinter der nächste Biegung auf, wonach wir gesucht haben. An einer lichten Stelle zwischen den hohen Bäumen stehen ein paar Picknicktische. Eine kleine Böschung runter führt ein schmaler Holzsteg auf einen ruhigen schilfgesäumten See hinaus. Wir sind so begeistert von dem Platz, dass wir die unzähligen Mosquitos erst bemerken, als wir schon total zerstochen sind. Der Platz wird von der Forstbehörde verwaltet und spät am Abend kommt der Förster vorbei und kassiert ein paar Złoty.
Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück, bauen wir die SUPs auf und drehe noch in Ruhe eine Runde auf dem See, bevor es schließlich über die grüne Grenze nach Litauen geht.
Wie kommt man eigentlich ins Baltikum?
Über Land
Der schnellste Weg über Land führt von Berlin über die gut ausgebaute Autobahn bis nach Warschau. Es gibt unterwegs mehrere Zahlstationen von drei unterschiedlichen Betreibern, an denen in Zlotys, mit Kreditkarte oder in Euros bezahlt werden kann. Das Wechselgeld wird in Zlotys herausgegeben! Wir haben für die gesamte Strecke umgerechnet etwas über 20 € gezahlt.
Die genaue Kosten kann man sich auf den Internetseiten der drei Hauptverbindungsstrecken berechnen lassen.
A1 – die Nord-Süd-Verbindung
A2 – die Ost-West-Verbindung
A4 – die südliche Ost-West-Verbindung
Ab Warschau geht es nur noch über teils sehr volle Landstraßen weiter, bis zur 104 km langen Grenze zwischen Polen und Litauen.
Wer über die kleine russische Enklave Kaliningrad fahren möchte, sollte daran denken vorher ein Visum zu beantragen.
Über Wasser
Wer sich die lange Fahrt durch Polen sparen möchte, kann auch mit der Fähre ins Baltikum gelangen. Diese Variante ist etwas teurer, sollte auf jeden Fall vorher gebucht werden und ist vor allem für Reisende aus Norddeutschland interessant. Es gibt zwei Fähranbieter die regelmäßig verkehren.
Kiel – Klaipeda (Litauen): DFDS-Seaways, fährt täglich, 19-21 Stunden, ab 130 €/Person in der Kabine, ab 100 €/Wohnmobil
Lübeck-Travemünde – Liepaja (Lettland): Stene Line, 5x pro Woche, 27 Stunden, ab 200 €/2 Personen mit Wohnmobil
Litauen
“ Es sieht aus, als wäre die Zeit stehen geblieben „
Wir lassen die Hauptstrassen absichtlich links liegen und genießen die Fahrt durch das ländliche Litauen. Die Bauernhöfe, die wir passieren, sehen aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Bunte Holzhäuser mit Obstbäumen und Felder, die noch mit Pferden bestellt werden. Wo man auch hinschaut thronen riesige Storchennester auf Schornsteinen, Strommasten und Laternen und die wunderschönen Vögel staksen über die Wiesen. Ich wusste gar nicht wie groß und schön und stolz so Störche aussehen.
Ein totaler Kontrast dazu ist die Hauptstadt Vilnius, die wir am nächsten Mittag erreichen. Wir haben Glück und erwischen noch den letzten Stellplatz an dem coolen Downtown Forest Hostel & Camping. Dank kräftiger Regenschauer und total zerstochener Füße von unserem letzten Abend in Polen, die jeden Schritt in geschlossenen Schuhen zur Hölle machen, fällt unsere Stadtbesichtigung etwas kleiner aus als geplant.
“ Notiz für mich: Mosquitos und Flipflops ohne Mückenspray sind eine schlechte Kombi „
Um genau zu sein schaffen wir es gerade bis zum skurrilen Künstlerviertel Užupis nur wenige Minuten vom Hostel entfernt. Und da gerade noch zum Pub Šnekutis (mittlerweile schon nur noch barfuß), wo wir die verschiedensten Biersorten gegen juckende Mückenstiche testen…
Hunger?
Wer in Užupis unterwegs ist, sollte sich auf gar keinen Fall das leckere, teils etwas eigenwillige Bier und die gute litauische Hausmannskost im Pub Šnekutis auf der Polotsk str. 7A entgehen lassen.
Und danach noch eine himmlische süße Kleinigkeit von Liu Patty auf der L. Giros G. 15. Die sind zum verlieben!
Užupis ist das Künstlerviertel von Vilnius. Hier wurde als PR-Gag am 1. April 1997 die „Republik Užupis„ ausgerufen mit einer eigenen etwas verrückten Verfassung:
1 Jeder Mensch hat das Recht, beim Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.
2 Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und ein gedecktes Dach.
3 Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, aber das ist keine Pflicht.4 Jeder Mensch hat das Recht, Fehler zu machen.
5 Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.
6 Jeder Mensch hat das Recht zu lieben.
7 Jeder Mensch hat das Recht, nicht geliebt zu werden, aber nicht notwendigerweise.
8 Jeder Mensch hat das Recht, gewöhnlich und unbekannt zu sein.
9 Jeder Mensch hat das Recht, faul zu sein.
10 Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.
11 Jeder Mensch hat das Recht, nach dem Hund zu schauen, bis einer von beiden stirbt.
12 Ein Hund hat das Recht, ein Hund zu sein.
13 Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Besitzer zu lieben, aber muss in Notzeiten helfen.
14 Manchmal hat jeder Mensch das Recht, seine Pflichten nicht zu kennen.
15 Jeder Mensch hat das Recht auf Zweifel, aber das ist keine Pflicht.
16 Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein.
17 Jeder Mensch hat das Recht, unglücklich zu sein.
18 Jeder Mensch hat das Recht, still zu sein.
19 Jeder Mensch hat das Recht zu vertrauen.
20 Niemand hat das Recht, Gewalt anzuwenden.
21 Jeder Mensch hat das Recht, für seine Unbedeutsamkeit dankbar zu sein.
22 Niemand hat das Recht, eine Ausgestaltung der Ewigkeit zu haben.
23Jeder Mensch hat das Recht zu verstehen.
24 Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen.
25 Jeder Mensch hat das Recht zu jeder Nationalität.
26 Jeder Mensch hat das Recht, seinen Geburtstag nicht zu feiern oder zu feiern.
27 Jeder Mensch sollte seinen Namen kennen.
28 Jeder Mensch kann teilen, was er besitzt.
29 Niemand kann teilen, was er nicht besitzt.
30 Jeder Mensch hat das Recht, Brüder, Schwestern und Eltern zu haben.
31 Jeder Mensch kann unabhängig sein.
32 Jeder Mensch ist für seine Freiheit verantwortlich.
33 Jeder Mensch hat das Recht zu weinen.
34 Jeder Mensch hat das Recht, missverstanden zu werden.
35 Niemand hat das Recht, jemand anderen die Schuld zu geben.
36 Jeder hat das Recht, individuell zu sein.
37 Jeder Mensch hat das Recht, keine Rechte zu haben.
38 Jeder Mensch hat das Recht, keine Angst zu haben.
39 Lass dich nicht unterkriegen!
40 Schlag nicht zurück!
41Gib nicht auf!
Auch wenn wir Vilnius damit wahrscheinlich nicht gerecht werden, zieht es uns nach nur einem halben Tag wieder raus aus der Stadt. Nicht weit von Vilnius entfernt liegt die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit des Landes. Die romantisch schöne Wasserburg Trakai. Wie erwartet sind die meisten Parkplätze schon voll als wir ankommen und so müssen wir ein bisschen Suchen. Aber statt mit den anderen Touristen Richtung Burg zu stapfen bauen wir unsere SUPs auf und genießen erstmal die Ruhe auf dem Wasser. Als wir um eine Halbinsel rumpaddeln liegt sie schließlich vor uns. Kaminrote Mauern und Türme leuchten im Sonnenlicht, der Himmel ist strahlend blau und weise Segelboote und Wolken ziehen vorbei. Eine Kulisse wie aus dem Bilderbuch. Kein Wunder das die Wasserburg schon so oft fotografiert wurde. Nach einer entspannten SUP Tour (die Tour zum Nachpaddeln findest du hier) und einem kleine Fussmarsch, da uns eine Schwanenfamilien den Ausstieg verwehrt hat, verlassen wir die dichter besiedelten Gebiete Litauens wieder.
“ Eine Kulisse wie aus dem Bilderbuch „
Während wir parallel zur Weißrussischen Grenze weiter Richtung Norden fahren, haben wir das Gefühl hier gibt es nichts anderes mehr als Bäume. Dabei sind nur noch gut 33% Litauens mit Wäldern bedeckt. Immer wieder stehen einsame Autos am Straßenrad, Pilzsammler stapfen durchs Unterholz oder bieten ihre Funde auf der Motorhaube zum Verkauf an. Jetzt ist die Zeit für Pfifferlinge und Blaubeeren und ich muss mich zusammenreißen nicht bei jedem Auto anzuhalten und noch mehr Blaubeeren zu kaufen. Schließlich komme ich zum ersten Mal in meinem Leben in den Genuss von richtigen Blaubeeren. Die, die wirklich alles verfärben, einschließlich unseres Campinggeschirrs. Für jeden der nur diese von der nordamerikanischen Heidelbeere abstammende Kulturheidelbeeren kennt, ihr habt was verpasst!
“ Wälder mit Blaubeeren, Seen und jeder Menge Mosquitos „
Die Wälder hier sind nicht nur mit Blaubeeren, sondern auch mit zahllosen Seen gespickt und wir haben das Gefühl jeder ist noch schöner und idyllischer als der davor. Die offiziellen Straßen durch die Regionalparks sind nur noch holprige Forst- und Waldstraßen. Wir entdecken einsame Skulpturenpfade mit wunderschönen Holzfiguren, die irgendwie fehl am Platze wirken. Denn es gibt keine Beschilderung oder sonstige Infrastruktur. Und vor allem finden wir tief im Wald direkt am See Picknickplätze mit Feuerstellen. Wären nicht so viele Mosquitos hier, könnten wir Wochen abwechselnd auf dem Wasser (hier gehts zum SUP Spot) oder am Lagerfeuer verbringen. Ich bin echt heilfroh, dass ich vorm Urlaub noch ein Mosquitonetz für die Schiebetür genäht habe, sonst wären wir wahrscheinlich wahnsinnig geworden.
Nach drei Tagen spuckt uns der Wald wieder aus und wir fallen im hübschen Ort Salakas am Ufer vom See Luodis einer litauischen Familie in die Arme, die hier ihr Zelt aufgeschlagen hat. Wir unterhalten uns mit Händen und Füßen und einer wilden Mischung aus Englisch, Deutsch und Litauisch. Wir lachen viel und obwohl wir eigentlich kaum ein Wort verstehen, verstehen wir uns eigentlich doch ziemlich gut. Nur das mit den Trinkbecher großen Wodkagläsern ist uns nicht so gut bekommen…
“ Trinkbecher großen Wodkagläsern sind keine gute Idee “
Während wir am nächsten Morgen noch im Delirium sind hat unsere Zeltnachbarin schon bei der Kuh auf der Wiese nebenan frische Milch organisiert und klopft uns lautstark aus dem Bett. Wir sind wahnsinnig dankbar für die Gastfreundschaft, aber aus reinem Selbstschutz fahren wir noch am gleichen Tag weiter nach Lettland.
Lettland
Kurz hinter der Grenze liegt die zweitgrößte Stadt des Landes und begrüßt uns weniger idyllisch. Daugavpils mit gut 100.000 Einwohnern. Ehemals ein Zentrum der Industrialisierung, prägen Fabrikgebäude und Plattenbauten das Bild.
“ Schwimmen soll hier großes Unglück bringen „
Aber schon bald führen die Straßen wieder in den Wald. Zu dem kleinen mystischen See Čertoks (auch Velnezers genannt). Der See ist nur wenige Meter groß, das Wasser ist glasklar und es wachsen so gut wie keine Pflanzen in seinem Wasser. Es gibt keinen Fluss und keine Quelle die ihn speisen und Legenden erzählen er wäre durch einen Himmelskörper entstanden. Die Menschen haben ihn immer gemieden und schwimmen soll hier großes Unglück bringen. Also genießen wir nur den schönen Anblick und fahren weiter.
Da es mal wieder Zeit wird für eine Dusche steuern wir in Aglonas den Campingplatz Aglonas Alpi an. Auch wenn die Waschräume etwas eigenwillig sind, bietet der Platz einen schönen Blick über den See Ciriša. Und unsere Campingnachbarn bieten uns ein unfreiwilliges Konzert mit klassischer Musik.
“ SUPen bis der Regen kommt „
Am nächsten Morgen geht es natürlich aufs Wasser. Das Ufer ist von dichtem Schilf gesäumt und unzählige Seerosen breiten sich auf dem Wasser aus. So schön! Leider haben wir nur einen Bruchteil des Sees erkundet, als schwarze Wolken am Horizont aufziehen. So schnell wir können paddeln wir zurück. Wir haben gerade alles ins Auto verstaut, als der Himmel die Schleusen öffnet. Es stürmt und regnet und blitzt und donnert so stark, dass wir noch nicht mal weiter fahren können. Nach über einer Stunde läßt der Regen langsam nach und wir ziehen weiter Richtung Estland.
Die Wälder werden weniger und die Felder mehr. Wir übernachten an einem weiteren See, den wir nur erahnen können, weil das Schilf so dicht ist, bevor wir schließlich nach Estland einreisen.
Weiter geht es im zweiten Teil…