Baltikum Roadtrip
Estland
Wir waren uns nicht sicher, ob wir wirklich so weit fahren würden. Aber da wir schon mal in der Nähe sind, waren wir doch zu neugierig um Estland links liegen zu lassen. Wenn man sich mit Estland beschäftigt, hört man oft “e-Estonia“, wobei das „e“ für elektronisch steht und zur Erkennungsmarke für die so erfolgreiche Leidenschaft im Land für alles, was vernetzt und digitalisiert ist, wurde. Der estnische Staat bietet seinen Bürgern derzeit 600 und seinen Unternehmen 2.400 e-Dienste an. Mit der ID-Karte Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr bezahlen, online wählen, digitale Rezepte von Ärzten abrufen, ohne dafür in eine Praxis zu gehen und vieles mehr. Echt beeindruckend für ein so kleines Land irgendwo an der Grenze der EU.
“e-Estonia“ – Ein Land zwischen digitaler Moderne und Sowjetvergangenheit
Von all dem bekommen wir aber reichlich wenig mit, als wir im Osten des Landes über die Grenze fahren. Unser erstes Ziel ist der Peipus See. Er ist nicht nur der größte See des Landes, sondern auch einer der größten Seen Europas. Und die Grenze zwischen Estland und Russland. Seine Ufer sind gesäumt von Ansiedlungen altgläubiger Russen. Hübsche, aufgeräumte Dörfer mit bunten Häusern. Und am Straßenrand werden Zwiebeln, Knoblauch und eingelegte Gurken feilgeboten.
Aber uns zieht es weiter an die Küste. In den mystischen Lahemaa Nationalpark. Die raue Küste, ist eine der letzten unberührten Regionen an der Ostsee. Weiße Sandstrände und tausende Findlinge, die am Ufer im Wasser liegen, wechseln sich ab. Der Legende nach soll es sich bei den Findlingen um versteinerte Teufel handeln! Also besser nicht verrücken, denn das soll Unglück bringen.
“ Versteinerte Teufel zieren die Küste „
Am nördlichsten Zipfel des Nationalparks auf der Pärispea Halbinsel landen wir schließlich auf der Purekkari campsite. Wild campen ist im Nationalpark verboten. Aber es gibt mehrere ausgewiesene Zeltplätze. Wunderschön zwischen zerzausten Kiefern gelegen, mit Picknicktischen, Feuerstellen, Plumpsklos und kostenlosem Feuerholz.
Der Platz ist auf drei Seiten vom Wasser umgeben und der Sonnenuntergang hier ist ein Traum, so dass wir gleich zwei Nächte bleiben.
“ Lahemaa – Land der Buchten „
Der Name Lahemaa heißt so viel wie „Land der Buchten“. Und in einer dieser Buchten, nicht weit von unserem Schlafplatz entfernt, liegt ein faszinierendes Relikt aus Sowjetzeiten. Eine U-Boot Entmagnetisierungsstation. Am nächsten Tag klettern wir fasziniert durch die alten, mit Graffiti besprühten Gebäude. Und auch wenn der starke Wind uns eigentlich nicht aufs Wasser zieht, bauen wir die SUPs auf. Vom Wasser aus sehen die Betongerippe noch beeindruckender und unheimlicher aus. Und auch die Vorstellung zu SUPen, wo früher Kriegs-U-Boote durchgefahren sind, läßt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Als wir aus dem Kanal in die offene Buch kommen, wird der Wind so stark, dass wir nach einer kleinen Runde wieder zurück paddeln. (Hier geht’s direkt zum SUP Spot)
Der Nationalpark hat aber noch mehr zu bieten. Ein Naturparadies mit malerischen Mooren, Kiefern- und Klippenwäldern sowie Flüssen, die sich in das Kalksteinkliff eingegraben haben.
Am nächsten Morgen regnet es in Strömen. Aber irgendwie schaffen wir es eine Regenlücke abzupassen und noch wandern zu gehen, bevor wir den Lahemaa Nationalpark verlassen. Auf der Wanderung über den 7 Kilometer langen Majakivi–Pikanõmme nature trail sind wir ganz verzaubert.
Wir haben den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Ab hier geht es im Westen der baltischen Länder quasi wieder auf den Heimweg.
“ Sowjetische Gefängnismauern als gruseliges Zeugnis vergangener Zeiten „
Etwa 40 Kilometer westlich von Tallinn stoßen wir auf ein weiteres gruseliges Zeugnis vergangener Zeiten am Rande der kleinen Stadt Rummu. 1938 wurde hier angefangen Kalkstein abzubauen. Praktischerweise wurde zeitgleich das sowjetisches Gefängnis Murru gegründet. Bis zu 7.000 Häftlinge saßen hier ein und wurden zur Arbeit im Steinbruch gezwungen.
Im Jahr 1991, als die Sowjetunion zusammenbrach, gewann Estland seine Unabhängigkeit zurück, und der Kalksteinbergbau wurde stillgelegt. Mit der Zeit füllte sich der Steinbruch mit Grundwasser und überschwemmte Gebäude und Maschinen des ehemaligen Straflagers. Eine blaue Lagune mit glasklarem Wasser und faszinierendem Strand entstand. Unheimlich und wunderschön. Perfekt für eine abenteuerliche SUP Tour.
Allerdings ist das Gelände in Privatbesitz und für Fremde gesperrt. Durch Zufall treffen wir auf einen Touranbieter, der uns eine Genehmigung für den nächsten Tag hätte besorgen können. Leider machen uns aber Gewitter und Sturmböen einen Strich durch die Rechnung. Und so setzen wir uns ins Auto und fahren weiter zurück nach Lettland.
Nicht verpassen…
Wer in der Gegend ist sollte sich einen Zwischenstopp in dem kleine, versteckten Café „Kohvik“ kurz vor der lettischen Grenze in Häädemeeste (58.077141, 24.491629) nicht entgehen lassen.
Frisches Brot dick belegt mit Käse, Schinken und Tomaten und Gurken aus eigenem Anbau. Himmlische Zimtschnecken und guter Kaffee.
Lettland
Unser erster Stopp in Lettland ist der Gauja Nationalpark. Auf dem Campingplatz Apalkalns genießen wir erstmal die Dusche und füllen unsere Wasservorräte auf. Da uns die aktuelle Schlechtwetterfront mit unbeständigem Wetter, Regen und Wind aber hier auch nicht loslässt, lassen wir die geplante Wanderung und SUP Tour ausfallen und befragen die Regenradar App (übrigens sehr hilfreich, wenn man keinen Regen mag).
“ Kilometerlange, einsame, wilde Strände „
Vorbei an Riga an der Küste finden wir tatsächlich was wir suchen. Strahlend blauen Himmel! Und wenn man die gut besuchten Badeorte wie Jūrmala links liegen lässt, auch kilometerlange, einsame, wilde Strände. Wir bleiben gleich vier Nächte in der Region immer wieder an anderen super schönen Stränden. Wir genießen die Sonne und die Ruhe und trauen uns immerhin bis zum Knie ins eisige Wasser der Ostsee. Dafür mussten wir aber schon gut 500 Meter hinauslaufen, so flach ist die Küste (vielleicht auch nur 100 Meter. Ich bin so schlecht im schätzen…).
“ SUP Expedition durch dichten Urwald „
Da uns die Küste immer noch zu windig ist zum SUPen, sind wir mega happy, als wir auf den kleinen Fluss Roja stoßen, der im bescheidenen Seebad Roja in den Golf von Riga mündet. Schnell sind die Boards aufgebaut und wir auf dem Wasser. Anfangs säumen noch ein paar Häuser mit kleinen Gärten das Ufer, die aber schnell dichtem Urwald weichen. Seerosen, meterhohe Kiefern, umgestürzte Baumstämme und keine Menschenseele. Wir fühlen uns wie auf einer Expedition. Wir gleiten über spiegelglattes Wasser, zwängen uns unter Baumstämmen hindurch und klettern über andere rüber. Super schön! Irgendwann müssen wir aber vor den Baumstämmen kapitulieren und wieder umdrehen.
Als uns der Blick auf den Kalender sagt, dass wir nur noch vier Tage haben, bevor wir wieder auf der Arbeit sein müssen, verlassen wir die Küste und düsen (sofern das mit Diego geht) auf dem schnellsten Weg nach Litauen.
Von Litauen nach Deutschland
In Litauen übernachten wir auf dem Besucherparkplatz in der Nähe vom Berg der Kreuze und können diesen speziellen Ort ohne Besuchermassen im magischen Licht der unter- und aufgehenden Sonne erkunden. Über 200.000 Kreuze sind ein Symbol für Hoffnung, Frieden, Liebe und Opfer. Über die Entstehung dieses Wallfahrtsortes gibt es viele Legenden. Und jeder Kreuz hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Leider prägen immer mehr billige Einheitskreuze vom Souvenirladen das Bild.
Die letzten beiden Tage bestehen wieder aus Fahren und Fahren und Fahren. Und drei Wochen nachdem wir losgefahren sind, sind wir plötzlich wieder zu Hause.